Ja, richtig, ich bin ein Teil der Geschichte und wem das jetzt komisch vorkommt oder wer sich denkt, ich leide an Größenwahn, dem möchte ich das kurz erklären.

Um es kurz zu fassen, die Formulierung vom „ins Internet gehen“ ist ein Märchen. Ob das im Zeitalter der Facebook-Dominanz neu ausdiskutiert werden muss, ist eine andere Diskussion. Für mich aber wird eines immer klarer: wir brauchen ein Internet und zwar offen und frei und nicht allein diesen Zoo mit dem blauen f, bei dem wir mehr und mehr damit beschäftigt sind die gerade erst erlernten Regeln wieder über Bord werfen, um sie auszutauschen durch ebenso kurzatmige.

Das Internet, das ist kein komischer Ort, den man besucht, die Nasen an die Scheiben drückend, weil die Affen gerade gefüttert werden. Wir gehen nicht INS Internet, sondern begeben uns in ein Netzwerk, wir klinken uns ein, wir docken uns an und sind selbst ein Teil vom Internet! Schon allein durch dieses Andocken verändern und gestalten wir. Der Unterschied mag marginal erscheinen, für mich aber ist er wesentlich. Die Raum-Metapher finde ich ganz gut, um das zu erklären. Denn das Internet ist ein öffentlicher Ort, ähnlich einer Stadt, in der ich lebe und in der ich ebenso ein Teil von ihr bin, mit allen Rechten und Pflichten. Halte ich Bäume in der Stadt für eine wichtige Grundlage für Lebensqualität, kann ich mir diese auch nicht einfach bei Amazon bestellen und bei Nichtgefallen wieder zurück senden. Es bedarf Engagement, Organisation, die Lust daran etwas zu lernen und zu unternehmen, Ausdauer, Kompromissbereitschaft kann auch nicht schaden und eine große Portion Neugier ist immer eine gute Basis!

Meine erste E-Mail-Adresse und erste Selbstversuche mit HTML

Die Neugier war bei mir auf alle Fälle da,  es hatte aber auch immer schon seine Grenzen. Mein erster Computer war tatsächlich ein C64, als Computernerd habe ich mich selbst aber nie wahr genommen. Schon bei meinem zweiten Computer kann ich nur noch sagen, es war ein PC. Mit Innereien oder wirklich echter Softwareprogrammierung habe ich mich zwar immer mal wieder versucht, habe aber nie einen Level erreicht, der Computervirtuosität auch nur kratzen würde. Heute beschreibe ich mich als einen Menschen, der verschiedenen Qualitäten kennt, schätzt und verbindet. Tradition und Innovation.

Gesucht habe ich das Internet eigentlich nicht. Eher hat es mich gefunden. Das war 1999 als ich mit anderem im Proberaum werkelte und mich fragte, wer denn eigentlich die Bands auf die Bühne stellt. Es gab eine regelrechte Musikszene und einen Bandförderverein mit Nachwuchssorgen. Also saß ich kurz drauf in einem 6m² großen Büroraum mit viel zu viel Papier und einem Computer mit Modem. Die Einarbeitung bestand darin, dass ich Schlüssel bekam, diverse kurze Erklärungen und meine erste Email-Adresse. Damals bei GMX. Der Verein hatte bereits eine Webseite, durchaus eine Seltenheit 1999. Auch die gehörte von da an zu meiner Verantwortung. Ich weiß nicht mehr mit welchen Worten, wie umfangreich mir das erklärt wurde und inwieweit ich bereits Ahnung hatte, gelernt hat man jedenfalls auf der Seite „SELFHTML“. Alles, was ich wissen musste, stand dort beschrieben, offen und via Internetzugang frei zugänglich.

Screenshot selfhtml via archiive.org

Ich fand das schon faszinierend. Ich brauchte mir kein teures Buch kaufen und noch besser, ich konnte suchen und selektiv lesen. Die Vereinswebseite war dennoch immer ein Baustelle und nie fertig. Meine erste wirklich selbst geschriebene Webseite war dann wohl diese hier. Inhaltlich ging es weiter um Projekte zur Bandförderung und Konzerte, präsentiert im berühmten Tabellenlayout. Jede Seite habe ich da noch einzeln in HTML zusammen geschrieben.

Screenshot via archive.org

Inwieweit die Webseiten eine Rolle spielten, weiß ich heute gar nicht mehr zu sagen. Für die Veranstaltungswerbung hat man sich noch auf Plakate, Flyer und Stadtmagazine konzentriert. Komplett unwichtig waren Webseite auch nicht. Klar hat man das gemessen, wie oft eine Seite aufgerufen wurde, aber auch damals haben Zahlen letztlich nur davon abgelenkt mal über grundsätzliche Fragen wie Interaktion und Impact nachzudenken.

Wirklich hervor zu heben ist die Selbstverständlichkeit das Web und nutzen und auszuprobieren, indem man selbst herausfand, wie es funktioniert. Es war vergleichsmäßig einfach sich für Computer zu begeistern. Von heute aus betrachtet, waren Computer für mich noch Kisten, mit denen man bessere Tabellen zusammenschob und Briefe förmlicher gestalten konnte, vor allem weil man eben Drucker anschloss. Und natürlich war es das Internet. Auf meinem eigenen Windowsrechner war „natürlich“ der Internet Explorer installiert, mit dem Netscape Navigator kam ich das erst Mal in der Unibibliothek in Berührung (ich war kein Student, aber es gab kostenlosen Internetzugang!), der Mozilla war zwar auch schon irgendwie da, aber eben noch nicht wirklich. An eine grundsätzliche Ablehnung kann ich mich nicht erinnern. Natürlich gab es Spiele, aber das war schon wieder gar nicht mehr mein Ding. Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemand grundsätzlich in Fragen stellte, als Kulturverein das Web zu nutzen. Das kam erst viel später.

Leider haben viele diese Phase verpasst.

Menschen, die so dachten, wie ich. Gefunden übers Web!

Was mir in dieser Zeit fehlte, waren andere Menschen, die sich nicht „nur“ in die Organisation und Umsetzung temporärer Projekte mit reinhängen wollten, sondern auch Lust hatten sich über grundsätzliche und konzeptionelle Fragen (damals im Bereich der Musikförderung) einen Kopf zu machen.

Es keimte in mir immer mehr die Vorstellung, dass es ja eigentlich noch mehr Menschen geben müsste, die so tickten wie ich. Irgendwann bin ich dann auch drauf gekommen, im Internet nach ihnen zu suchen. So komisch das klingt, das brauchte ein paar Tage. Nach anderen Menschen zu suchen, war zumindest für mich in 2001 nichts selbstverständliches. Der Mensch als Person wurde für mich erst mit MySpace so richtig interessant und das wurde erst 2003 gegründet.

Und ich fand! In Halle an der Saale gab es einen Verein, der seit ein paar Jahren den Bandwettbewerb „Newchance – Wellen machen“ ausschrieb und damit sogar so erfolgreich war, dass sich Bands auch weiter über die Landesgrenzen von Sachsen-Anhalt hinweg für diesen beworben. Die Webseite des Vereins war daran sicher nicht unbeteiligt. Immerhin gab es dort eine der ersten Banddatenbanken.

Webseite newchance.de

Das Kennenlernen war einfach. Ich habe eine E-Mail geschrieben und die Antwort war so etwas wie: „Komm vorbei, bring einen Schlafsack mit.“ Was mit einer einfachen Abfrage in einer Suchmaschine begann (es war MetaGer), mündete in einer Gründung des Beatzentrale e.V., einem neuen Bandförderverein, für den ich in den folgenden Jahren federführend einen sachsenweiten Bandcontest mit jährlich bis zu 75 beteiligten Bands aus ganz Sachsen, 15 Lokalausscheiden, drei Regionalausscheiden, am Ende auch einem Landesfinale und einigen weiteren Projekte organisierte und durchgeführte. Das Internet war vielleicht noch nicht wirklich groß, aber es war ein wirklich wichtiger Schlüssel in meinem Leben.

Webseite NewChance Sachsen

Natürlich hatten wir auch eine Webseite für NewChance Sachsen und die Beatzentrale. Im Layout arbeiteten immer noch Tabellen, für die Erstellung des HTML hatte ich meinen ersten Spaß mit PHP.

Webseitenentwicklung und Scheitern

Natürlich wollten wir Webseiten-technisch noch viel weiter. Die Crew in Halle war bereits um einiges weiter und arbeitete mit einem selbst geschriebenen Content Management System. Insgesamt war schon viel vorhanden, auch auf der theoretischen Ebene. Ganz selbstverständlich gab es dort ein Wiki für das Wissen des Vereins. Wissensmanagment in Organisationen, bis heute eigentlich ein vollkommen unterentwickeltes Themenfeld in ehrenamtlichen Strukturen.

Wir jedenfalls trauten uns zu, für unseren Bereich der Bandförderung groß zu denken. Vollkommen unbeackert war das Gebiet zu dem Zeitpunkt lange nicht mehr. MySpace war 2004/2005 bereits extrem präsent und diverse andere Webseiten und Kataloge boten eine Übersicht. Auch im öffentlich geförderten Sektor gab es mindestens mit allmusic ein interessantes Angebot. Für uns begann eine unsägliche Odyssee mit Typo3, warum auch immer wir uns dafür entschieden hatten.

Was die Anstrengung angeht, Typo3 zu verstehen, war es leider für uns vergebene Mühe. Und wir hatten Pech mit dem Programmierer, der ganz konkret einfach nicht lieferte. Erst später ist mir klar geworden, dass das Problem weniger an den mangelnden Ressourcen lag, sondern viel mehr an unserer Herangehensweise in der Umsetzung. Die Pläne waren viel zu fix, die Anforderungen viel zu sehr am Reißbrett entworfen und die Schritte bei aller Überlegung immer noch viel zu groß. Das Einschliefen von Feedback und die Grundbereitschaft für Flexibilität war einfach nicht vorhanden. Schlussendlich ist nie etwas aus unseren ursprünglichen Plänen geworden.

Agile Grundsätze für das Kulturmanagement

Aus jedem Scheitern lässt sich lernen. Was uns fehlte waren Erfahrungen im agilen Projektmanagement. Die Frage, wie Kulturprojekte besser, einfacher und mit permanent knappen Ressourcen umzusetzen sind, stand schon immer und spielt heute mehr denn je eine Rolle. Knappheit ist nicht einfach nur ein Problem, sondern führt auch immer wieder zu erstaunlich interessanten Ergebnissen. Gerade in der Kultur sind unkonventionelle Herangehensweisen nicht nur Inspiration, sondern ein wichtiger Schlüssel, um immer wieder neue Räume eröffnen zu können.

Kulturmanagement verstehe ich heute als grundsätzlich agilen Prozess. Kultur hat für mich zu allererst etwas mit dem Menschen zu tun und provoziert damit förmlich die Frage, ob Kultur tatsächlich zu managen ist. Die in Deutschland sehr stark ausgeprägte Trennung zwischen der sogenannten Hochkultur und der sogenannten Subkultur ist nicht allein kulturell zu begründen, sondern hat auch etwas mit diesem Versuch Kultur zu managen zu tun. Offenheit und Freiheit sind Grundsätze, die mir nicht nur für das Internet wichtig sind, sondern ganz klar auch in allen Dingen der Kultur zu Grunde liegen sollen. Der Spagat zwischen Offenheit und Freiheit auf der deinen Seite und klar definierten Zielen, Ordnung, Priorisierung und ein gewisses Maß an Kontrolle auf der anderen Seite gelingt meiner Meinung nach am besten über agile Grundsätze im Kulturmanagement. Meinen Weg dahin habe ich hiermit aufgezeigt. Für mich ist das damit auch ein Teil der Geschichte des Internet.

Was ist Deine Geschichte vom Internet?

Ich würde mich freuen eure Geschichten vom Internet zu lesen! Was war eure erste Webseite, was ist euer Teil im Internet? Ob selbst geschrieben oder bei tumblr bis Twitter angelegt, ist völlig egal. Wann seid ihr in den sprichwörtlichen Zaubertrank gefallen? Mich selbst hat die Idee vom Internetmuseum Berlin inspiriert, darüber nachzudenken. (Auch wenn es durch meine Crowdfunding-Aktivitäten naheliegend wäre, bin ich nicht an dem Projekt beteiligt oder irgendwie verbandelt mit dem Internetmuseum Berlin. Ich bin einfach überzeugt davon, dass gelebter Austausch genau das ist, was die Grundlage bildet.)

Ich finde, es ist Zeit wieder viel mehr zu reflektieren, wo und wie das Internet entstanden ist und was es uns bedeutet. Wir gehen nicht INS Internet, wir sind ein Teil davon! Schreibt es auf!

Die Blogparade läuft bis zum 21.03.2015, danach werde ich hier eine Auswertung veröffentlichen. Ich freue mich auf Lesestoff!

veröffentlicht am 17. Februar 2015

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